Als Studentin habe ich einige Monate in Jerusalem verbracht. Die Gassen der Altstadt waren in warmes Licht getaucht. Es war laut, wuselig und irgendwie nicht von dieser Welt. Herrlich duftende Sesamkringel wurden zum Verkauf angeboten. Touristenmassen schoben sich durch die Straßen, an der Klagemauer wiegten sich die jüdischen Gläubigen im Takt zu ihrem Gebet.
Eine Stadt, so viele Sehnsüchte! Ich suchte nach einem Ort der Stille, um all die Eindrücke verarbeiten zu können. So öffnete ich eine verrostete Tür, die mir mit lautem Quietschen den Weg auf einen verlassenen Schulhof freigab. Ich betrat ein Klassenzimmer. Keine Menschenseele war mehr dort. Wie friedlich es hier war. Dann trat ich ans Fenster. Und ich musste tief einatmen: Das Fenster gab den Blick auf den Tempelberg frei. So nah, als könnte man sie anfassen, sah ich die goldene Kuppel des Felsendoms. Als seien dieser Berg und dieser Dom nur für meinen Blick gemacht.
Wie viele Sehnsüchte hängen an diesem Berg, dem Tempelberg. Die Sehnsucht, dass man Gott hier näher ist als an jedem anderen Ort. Die Sehnsucht, dass man selbst geheiligt ist. Die Überzeugung, dass Gott auf dieser Erde wohnt. Nur ein Blick durch ein verrottetes Fenster und Gott ist so nah.
Wenn wir hinter unsere eigenen Türen schauen, die abgeblätterten, verrosteten, die schweren, dann ist da doch auch diese Sehnsucht: Gott kommt auf diese Erde. Er taucht unser Leben in goldenes Licht. Er zeigt uns Orte der Freude in aller Traurigkeit. Er wohnt hinter quietschenden undrostigen Türen, mitten im Leben. In der Bibel lesen wir: „Siehe, ich habe eine Tür aufgetan und keiner kann sie schließen“.